Die Lage ist intrikat: Iphigenie, gebürtige Griechin und Tochter Agamemnons, dient als Priesterin der Göttin Diana auf der Skythen-Insel Tauris. Dabei setzt sie das Menschenopfer im Tempel der Diana aus – eine grausame Tradition, die alle fremden Insel-Besucher ereilt. Just in dem Moment, als ihr von den Furien verfolgter Bruder Orest auf Tauris landet, um das Heiligenbild aus dem Tempel der Diana zu entwenden, ist der Skythen-König Thoas gewillt, das Opferritual wieder einzusetzen. Der alte Familienfluch scheint sich in Iphigenie und Orest fortzuspinnen.
Goethes Schauspiel „Iphigenie auf Tauris“ gilt gemeinhin als Paradigma des Weimarer Klassizismus um 1800. Anhand des antiken Stoff- und Motivarsenals wird eine Wende im Werk des vormaligen Stürmers und Drängers und nunmehrigen Geheimrats sichtbar – von der Naturgewalt und dem ungebändigten Genie hin zu den gebändigten Leidenschaften und zu einem humanistischen Ordnungsmodell, das sich in Iphigenies „Stimme der Wahrheit und der Menschlichkeit” äußert. Es ist diese Stimme, mit deren Hilfe schließlich auch die Katastrophe abgewendet wird.
Der Vortrag folgt allerdings einer anderen Spur: Was, wenn Iphigenies Stimme nicht primär der Rührung durch Gefühl und Menschlichkeit, sondern schlicht der „höchsten Staatskunst“, also dem diplomatischen Geschick geschuldet ist?
Beim Literaturfrühstück – wie immer bei Kaffee und Gebäck, so lange der Vorrat reicht – wird Clemens Peck, Literaturwissenschafter am Fachbereich Germanistik in Salzburg, zeigen, wie man Goethes Schauspiel lesen kann, nämlich als Lehrstück der Diplomatie jenseits von List und Etikette, ein Lehrstück des politischen Ausgleichs und des Völkerrechts – inklusive aller Kollateralschäden, die die westliche Wahrnehmung internationaler und interkultureller Konflikte bis heute prägen.
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WohinTippHQ 52 mins ago