„Frühlings Erwachen“, 1906 in Berlin uraufgeführt, erregte einen Skandal, denn das Stück zeigt Jugendliche, eigentlich noch halbe Kinder, als triebhafte Wesen. Von ihren Eltern und Lehrern im Stich gelassen, sind sie ihrer erwachenden Sexualität hilflos ausgeliefert, was für einige von ihnen in einer Katastrophe endet. Damit widersprach Wedekind gängigen Vorstellungen von kindlicher Unschuld und Reinheit. Auf ähnliche Weise sorgte damals auch die als „jüdische Schweinerei“ diffamierte Psychoanalyse für Aufregung, denn Freud postulierte sogar eine frühkindliche Sexualität und schockierte das Bürgertum, indem er schon Säuglingen eine „polymorph perverse“ Veranlagung unterstellte. Was lag näher als die Vermutung, dass Wedekind wie viele seiner Zeitgenossen von der Psychoanalyse beeinflusst war? Seine „Kindertragödie“ war allerdings schon 1891 veröffentlicht worden, Jahre bevor die ersten psychoanalytischen Schriften erschienen. Musste man nicht umgekehrt annehmen, dass Freud und sein Kreis von Wedekind Impulse erhalten hatten? Oder handelt es sich um eine bloße Koinzidenz, war die Zeit einfach reif für einen desillusionierten Blick auf die menschliche Natur?
Beim Literaturfrühstück – wie immer bei Kaffee und Gebäck – wird die Literaturwissenschafterin Renate Langer den vielfältigen Verbindungen zwischen Wedekind und der Psychoanalyse nachgehen.
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WohinTippHQ 2 hours ago