Ein gefälschtes Testament, ein Schatz auf Honolulu, ein Werwolf in den Fängen der spanischen Inquisition, und in Prag toben Anarchisten und Gespenster. Das sind nur wenige der vielen Handlungsstränge dieses auf unzähligen Ebenen spannenden Romans, den der tschechische Graphiker Josef Váchal im Jahr 1924 in einer Auflage von nur 17 Stück herausgegeben hat. 1970 wurde dieses Gesamtkunstwerk nachgedruckt, sofort verboten und erlangte dennoch Kultstatus. Nach der Wende 1989 war „Der blutige Roman“ ein Bestseller, wurde zweimal verfilmt und ins Französische und Russische übersetzt. Nun erscheint er erstmals auf Deutsch.
Ondřej Cikán arbeitete an der deutschen Erstübersetzung fünf Jahre und übernahm nicht nur die versteckten sprachlichen Pointen, sondern auch den von sinnbildenden „Fehlern“ durchdrungenen Buchsatz: Mal illustrieren Satzzeichen Hundegebell oder ungerade Zeilenlinien die Landschaft, mal zeichnet die Häufung der Letter „o“ einen Hautausschlag oder rollende Augen nach, dann wieder ergeben die Anfangszeilen aufeinanderfolgender Seiten eine zusätzliche Textebene, wie etwa die Verbindung „Menschenleben – Große Oper“. Darüberhinaus enthält Váchals „Versuch um den Typus des idealen Schundromans“ unzählige literarische, historische und autobiographische Anspielungen. Diese erläutert Ondřej Cikán im überhaupt ersten ausführlichen Kommentar zu diesem Werk.
Die Buchpräsentation durch den Übersetzer Ondřej Cikán bietet neben einer Lesung auch einen Einblick in Váchals vielfältiges bildnerisches Schaffen. Moderation: Anatol Vitouch.
Josef Váchal (1884–1969) war Graphiker, Buchdrucker, Maler, Bildhauer und Autor. In seinem graphischen Werk verband er die mittelalterliche Tradition des Holzschnitts mit bahnbrechenden eigenen Erfindungen. Schon 1920 machte der Sammler Josef Portman es sich zur Aufgabe, ein „Váchaleum“ zu eröffnen und ließ zu diesem Zweck sein ganzes Haus von Váchal ausmalen. Váchals ausgeprägter Individualismus, sein tiefes Misstrauen jeder Mode gegenüber und sein finanziell aufwendiger Perfektionismus machten einen breitenwirksamen Erfolg zu Lebzeiten unmöglich. Ende der 1930er Jahre verkaufte Váchal all seine Maschinen und zog sich mit seiner Lebensgefährtin, der Künstlerin Anna Macková, verarmt und verbittert aufs Land zurück. 1993 wurde Portmans „Váchaleum“ in Leitomischl als „Portmoneum“ (so heißt das Museum im „Blutigen Roman“) restauriert und eröffnet. In Tschechien brach eine regelrechte Váchal-Manie aus, die bis heute andauert.
Ondřej Cikán (*1985) stammt aus Prag, lebt seit 1991 in Wien, ist deutsch- und tschechischsprachiger Dichter, Übersetzer, Filmregisseur und Altphilologe.
Der neue Verlag Kētos mit Sitz in Wien und Prag ist auf poetische Abenteuerromane und abenteuerliche, erzählende Poesie spezialisiert. Sein Programm 2018/19 besteht zum Großteil aus Übersetzungen aus dem Tschechischen von Ondřej Cikán.
Foto und Text © Ondřej Cikán
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Kommentare
WohinTippHQ 58 mins ago