Die verwitwete Milliardärin Claire Zachanassian kehrt in ihr Heimatdorf Güllen zurück, wo sie einst als mittelloses Klärchen Wäscher aufwuchs. Mächtig ist sie in der Zwischenzeit geworden, die Leichen zahlreicher steinreicher Ehemänner pflastern ihren Weg. Und jetzt fordert Claire, dass die Schulden beglichen werden: eine Milliarde für den Kopf Alfred Ills, der sie in ihrer Jugend geschwängert, danach mit Tricks die Vaterschaft verleugnet und sie so ins Elend gestossen hat. Und sie wird ihren Willen bekommen – am Ende ist Ill tot. Und doch ist es ein zweifelhaftes Empowerment, das der Mann Dürrenmatt einer Frau widerfahren lässt. Die tendenziös überzeichnete, exzentrische Milliardärin auf der Bühne ist kaum eine Sympathieträgerin – das Mitgefühl gilt dem Mann, Alfred.
65 Jahre nach der Uraufführung des Stücks und gute vier Jahre nach Beginn der #MeToo-Bewegung schaut sich Nicolas Stemann das Stück noch einmal an. Gleichzeitig stellt das Stück die komplexe Frage, wie eine Gesellschaft in einer Krisensituation entscheidet, wenn das Gemeinwohl gegen ethisch-moralische Überlegungen abzuwägen ist. Jeder weiss um die «Opfer», die der heutige Lebenswandel produziert – sei es der ökologische Fussabdruck, unfaire Produktionsbedingungen oder Chancenungleichheit, ein Gesellschaftssystem, das Klassismus, Rassismus und Benachteiligungen von Frauen noch immer nicht hinter sich hat lassen können. Nicolas Stemann, Intendant des Schauspielhauses Zürich, ist einer der exponiertesten und profiliertesten Könner darin, Texte der klassischen Dramenliteratur für uns heute aufregend anders lesbar zu machen und ihnen zugleich nicht ihre Autonomie zu nehmen. Seine «Räuber» und sein «Faust 1 und 2» sorgten für Furore – jetzt wendet er sich erstmals Dürrenmatt zu.
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WohinTippHQ 2 hours ago